Bilanz: Das erste Jahr in Kiel
Alsdann: Das erste Mal alle Jahreszeiten durch in Good Old Kiel. Sage und schreibe fünf Kilo mehr auf der Waage! Matjesbrötchen im Sommer und Grünkohl im Winter sind ganz offenkundig sehr nahrhaft. Ergo sind mehr Sport (jetzt neu: bei wellYou) und Anpassung der Ernährungsgewohnheiten erforderlich. – Work in Progress
Einrichten in der neuen, alten Hood
„Und: Hast Du Dich schon eingelebt?“ werde ich eigentlich auch nach einem Jahr immer noch gefragt, sobald von meiner neuen Wohnung und dem Drum und Dran die Rede ist. Die Antwort ist immer noch dieselbe wie im Herbst letzten Jahres:
„Ich brauche mich praktisch gar nicht einzuleben, denn ich wohne ja in der Hood meiner Jugend. Auch wenn das Elternhaus im Nachbarbezirk Wik liegt, hier in Blücherplatz-Düsternbrook bin ich zur Schule gegangen, fast alle meine Freunde lebten hier. Ich kenne praktisch noch jeden Stein und jeden Baum“. So nach und nach entdecke ich neue Cafés und Geschäfte, aber das meiste wie der Blücherplatz mit seinem Wochenmarkt oder das Metro-Kino in der Holtenauer Straße sind immer noch wie damals. Selbst die Speisekarte des Restaurants und Biergartens in der Forstbaumschule hat sich praktisch nicht verändert. Nur, dass heutzutage die Bestellung meiner Lieblingspizza von den studentischen Aushilfskräften per Scanner mit einem Mini-Computer aufgenommen und per Funk an den Tresen übermittelt wird. Und ich kann selbstverständlich wie überall per ec-Karte bezahlen. Sogar der tip landet über diesen Weg beim Empfänger. Logo, diese Veränderung, denn 1983 gab’s diese Geräte ja noch nicht mal.
Gelegentlich schlendere ich mal über das Gelände der Hebbelschule, wo meine Freunde und ich vor gut 44 Jahren unser Abi „gebaut“ haben. Dieses Jubiläum wurde letztes Jahr mit immerhin fast 40 ehemaligen Schülern und Schülerinnen und einem Lehrer im Wintergarten der „Forsti“ begangen, was nur so eine mittelmäßig gute Idee war, denn montags drauf gab es etliche Corona-Fälle in der Gruppe. Auch ich war „positiv“, hatte jedoch keinerlei Symptome. Vierzehn Tage später war bei allen Betroffenen der Spuk vorbei.
Tolle Unterstützung bei der Einrichtung meiner neuen Bude.
Die Wohnung hier in der Feldstraße hatte mir ja mein alter Buddy Tom organisiert, der ein Haus weiter in der Nummer 136 wohnt und über vorzügliche Beziehungen zur Verwaltungsgesellschaft Wertgrund verfügt. Zudem ist der gelernte Elektriker ein guter Bastler und Fuchs, der die meisten meiner Möbel und Einrichtungsgegenstände nicht nur organisiert, sondern auch aufgebaut beziehungsweise installiert hat. Welch Segen, solche Freunde wie ihn zu haben! Danke, danke, danke!
Musikalisch klemmt’s ein bisschen
Die im letzten Bericht erwähnte Hausmusik-Truppe habe ich nach einigen Proben gefrustet wieder verlassen. Ich bin (noch?) nicht wieder soweit, bei so etwas mitzumachen, da war ich wohl ausnahmsweise mal zu optimistisch. Sowohl physisch wie auch psychisch habe ich mich damit übernommen.
Neue Hoffnung mit den „Bunten Farben“
Wiederum bei nebenan.de fand ich eine andere Möglichkeit, mich erneut in Sachen Musik zu versuchen. Seit Ende letzten Jahres darf ich beim inklusiven Chor „Bunte Farben“ unter der Leitung der zauberhaften Nina Berger mitmischen. Hier musizieren Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam, just for the fun of it. Keine anspruchsvollen Chorsätze, kein SATB, jede und jeder trällert nach ihren und seinen Fähigkeiten. Spaß statt übersteigertem Anspruch. Das muss ich erstmal lernen, wie so vieles aus der Zeit vor meinem Schicksalsschlag. Dennoch oder gerade deshalb habe ich mich zu einem Workshop bei Nina angemeldet, bei dem Basics wie Atmung und der richtige Sitz der Stimme eingeübt werden.
Aufgabe: Blick nach vorn statt zurück und im Hier und Jetzt ankommen. Sich selbst helfen oder eben eine entsprechende Gruppe suchen.
Obgleich psychologisch „austherapiert“ drehen sich meine Gedanken und Gefühle immer noch oft um die Geschehnisse und Folgen des Winters 2011/2012. Das wirklich loszulassen bleibt eine Herkulesaufgabe für meine Seele. Der Verstand weiß, wie es funktionieren könnte, während die Emotionen nicht mitkommen. Oft und lange habe ich deshalb nach einer Selbsthilfegruppe gesucht, aber keine für meine speziellen Themen gefunden. Da denkt sich der kleine Stephan: „Gründest Du einfach selbst eine“. Gedacht, getan: E-Mail über das Kontaktformular der Webseite „meiner“ Kirchengemeinde geschickt, um Unterstützung zu finden, denn ein Raum und ein Moderator werden benötigt. Nach wenigen Tagen Antwort von Pastor Jochen Hose, der die Idee toll findet. Wir treffen uns schon bald und finden ein neutraleres Thema, denn meines als Betroffener einer kriminellen Gewalttat scheint uns zu speziell. Es geht nun also um Schicksalsschläge aller Art, aufgrund derer die Betroffenen von heute auf morgen aus allen Zusammenhängen gerissen werden und mit Existenzängsten sowie oft auch Einsamkeit zu kämpfen haben. Konzept ist erstellt, jetzt geht die Promotion los, um geeignete Teilnehmer*innen zu finden.
Neues Ehrenamt bei der VHS
Über eine Bekannte aus meiner Schreibgruppe (siehe unten) finde ich eine neue Betätigung, und zwar im Rahmen des so genannten Grundbildungsprogrammes der hiesigen Volkshochschule. Dort gibt es zweimal wöchentlich das „Lerncafé“, ein offenes Angebot für Menschen, die nicht oder nur schlecht Deutsch schreiben und sprechen können. Genutzt wird es hauptsächlich von Menschen mit Migrationshintergrund, die Unterstützung beim Ausfüllen von Formularen oder Korrespondenz aller Art benötigen. Ich habe mich entschieden, lediglich an den Freitagen mitzumischen, zu mehr fehlt mir noch die Kraft. Dies Amt bringt enorm viel Freude und Sinn. Die Dankbarkeit der Menschen aus Polen, Syrien, Iran und Afghanistan berührt mich jedes Mal aufs Neue.
Schreiben ist meine Therapie geworden
Wie im letzten Blogeintrag schon angedeutet, schreibe ich viel. Zum einen in der Gruppe „Anstiftung zur literarischen Geselligkeit“: Wir sind ein Haufen von Menschen, die gerne Texte aller Art schreiben und treffen uns an jedem ersten Donnerstag im Monat bei Tee und Knabbereien und schreiben auf einen Impuls hin jede*r eine Kurzgeschichte, die wir hinterher einander vortragen.
Zum anderen schreibe ich für mich selbst. Denn „in the Back of my mind” träume ich immer noch davon, ein Buch zu schreiben. Thema fürs Erste: Meine Lebensgeschichte und der Umgang mit meinem Schicksalsschlag. An eine Veröffentlichung dessen glaube ich vorerst nicht, denn wer interessiert sich schon dafür? Vielleicht Selbstverlag, zum Beispiel via Amazon in kleiner Auflage nur für Freunde und Bekannte.
Zudem steht im Frühjahr oder Frühsommer ein Relaunch dieser Webseite an. Eine gute Bekannte und frühere Kollegin, die selbst einen schweren Schicksalsschlag erlebt hat, verfolgt mein Blog und schlug mir vor, diesen zu professionalisieren und einer breiteren Zielgruppe zugänglich zu machen. Deshalb sortiere ich schon mal vor, welche meiner Texte sich dafür eignen könnten. Du, lieber Leser, liebe Leserin, darfst also gespannt sein.
Gestern ins Nachtcafe kurz reingeschaut und deine Geschichte gehört…krass. Christiane kenne ich durchs BWL Studium, alte Erinnerungen, von deinem Schicksal wusste ich nichts… Schön, dass Kiel, deine Schwester und deine Familie dich auffangen konnten. Mein Motto ist ja einfach machen und wenn es dir hilft, schreib deine Lebengeschichte auf. Liebe Grüße aus Kiel