Sieben Jahre geschafft!
Fast genau ein halbes Jahr nach dem ersten Blogeintrag des Jahres 2018 darf ich heute meinen zweiten Geburtstag feiern (immer am 1. November, dem Jahrestag des Wiederaufwachens aus dem Wachkoma). Den Jahrestag des Überfalls am 18.11. habe ich mit mir allein, ohne viel Aufhebens, hinter mich gebracht.
Die erneute Einladung zum Geburtstag des Bekannten, den ich an jenem Abend ja auch besucht hatte, habe ich ausgeschlagen. Zwar wäre das angenehme Gesellschaft gewesen, aber dieses Datum ist doch mit zu viel Düsternis behaftet, da mochte ich nicht einfach auf eine Cocktailparty in Wannsee gehen.
„Über sieben Brücken musst Du gehen“
….. so hat es Helmut Richter für das Lied von Karat gedichtet, das später von Peter Maffay auch im Westen Deutschlands populär gemacht wurde. Die „sieben dunklen Jahre“ habe ich nun auch hinter mich gebracht, vom in Aussicht gestellten „hellen Schein“ ist allerdings immer noch nicht viel zu sehen.
Zwei Leben in einem
Es ist schon mehr als seltsam, quasi surreal, zwei Leben in einer Inkarnation zu leben. Vielfach werde ich, besonders von alten Weggefährten und Kollegen, mit meinem Beruf und meinen Fähigkeiten (Musik) von früher identifiziert. Von beidem ist bitter wenig übrig, und damit fühlt sich dieses Leben eben nicht mehr so lebendig an. Nur in einigen wenigen Projekten, zum Beispiel der im letzten Blogeintrag erwähnten Musikanalyse für einen Schweizer Radiosender, konnte ich daran anknüpfen. Etwas Vergleichbares, völlig Neues, als Aufgabe zu finden, ist mir bisher noch nicht gelungen. Das eine Semester Studium war ein zarter Versuch in diese Richtung, doch davon blieb lediglich das „Redaktionsbüro“. Die im Frühjahr beschriebene erste ehrenamtliche Überarbeitung der Hausarbeit einer brasilianischen Studentin wurde mit 1,7 benotet, und wir haben uns hinterher in der Mensa der EHB auf einen Kaffee getroffen, um das Ergebnis zu feiern. Als „Honorar“ für meine Bemühungen gab es eine Flasche Weißwein und eine Packung Pralinen. Und – wie es der Zufall wollte – den nächsten studentischen Klienten. Bei dem Kaffee-Rendezvous stieß ihr Dozent dazu, der gerade auch in der Mensa Pause machte, und zehn Minuten später stellte er mir einen jungen Syrer vor, der bei ihm im Seminar saß, und dessen erste Hausarbeit anstand. Zack, nächster Auftrag. Jetzt habe ich auch einiges über „Erlebnispädagogik in der offenen Kinder- und Jugendarbeit“ (so der Titel der Arbeit) gelernt , Ergebnis: Note 1,3 für Sameh, das Treffen dazu steht noch aus…..
Darüber hinaus eigentlich nur noch die ehrenamtliche Arbeit in der Süd-Grundschule. Nach den Sommerferien traten mit den neuen Schülern in der Willkommensklasse allerdings Schwierigkeiten auf, denn deren Deutschkenntnisse sind so ungenügend, dass sie mich schlicht nicht verstanden haben. Erst recht eine Unterstützung beim eigenen Erfassen deutscher Texte war ein Ding der Unmöglichkeit. Aber die Sozialarbeiterin der Schule hat mir relativ schnell eine neue Aufgabe übertragen können: Hausaufgabenhilfe in einer Freistunde am Mittwochmittag, dazu kommt nach den Herbstferien eine neue Klasse, mit der ich wieder Texte erarbeiten können werde. Das sind zwei Tage in der Woche, die mich allerdings trotz aller weiterhin bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen keinesfalls auslasten.
Die kleinen „milestones“: Beispiel Autofahren
Bei all der Stagnation habe ich in der ersten Jahreshälfte auch einige Fortschritte erzielen können: Kurz nachdem mein Töchterchen im Frühjahr in ihre erste eigene Wohnung gezogen war, kam ihre Bitte, eine Bohrmaschine auszuleihen. Entgegen der ersten Idee, mit der BVG nach Moabit zu fahren, entschied ich mich kurzerhand für einen BMW von DriveNow (den Account dazu hatte ich mir vor einigen Jahren, kurz vor einem der letzten epileptischen Anfälle, besorgt aber noch nie benutzt). Da der letzte Anfall nunmehr drei Jahre her ist, hatte ich mir zunächst im Januar diesen Jahres eine Fahrstunde genommen, bei einem richtigen Fahrlehrer, so dass ich sicher gehen konnte, alles noch zu beherrschen – denn immerhin habe ich ja seit Mitte 2011 kein Kraftfahrzeug mehr eigenständig nutzen können. Eins nach dem anderen: Fahrtstunde im Januar also unproblematisch, erste eigene Fahrt im Juni dann auch easy: Nachdem ich mit telefonischer Unterstützung von einer DriveNow-Mitarbeiterin die Kiste in Gang bekommen hatte, führte mich das eingebaute Navi nicht wie gedacht über städtische Straßen von Dahlem nach Moabit, sondern natürlich auf der kürzesten Verbindung über die Stadtautobahn. Auch das hat der kleine Stephan aber bravourös gemeistert. Am Ende noch mal eine kleine Komplikation: Da es meine erste Nutzung des Carsharing gewesen ist, war mir nicht bewusst, dass und wie ich mich am Ende der Fahrt abzumelden habe. Habe die Kiste einfach vor meiner Wohnung auf einen freien Parkplatz gestellt. Bis etwa eine Stunde später eine SMS kam: Ob es gewollt sei, dass ich meine Fahrt so lange unterbreche?! Dann schnell die Benutzungsbedingungen gecheckt, und alles korrekt beendet. Der Schreck kam dann mit der Rechnung: Durch eine Stunde auf dem Parkplatz vor meiner Tür sollte der Spaß 40,00€ kosten! Aber mit einer E-Mail, in der ich meine Situation und Unerfahrenheit schilderte habe ich eine Halbierung der Kosten aus Kulanz erzielen können.
Die Frustrationsmomente: Pseudo-Heiler*innen und Scharlatanerie
Trotz aller kleinen Fortschritte bleiben natürlich die Behinderungen und Beschwerlichkeiten infolge des „Zustand nach SHT3°“, wie meine chronische Krankheit offiziell genannt wird. Und deshalb springe ich auf neue Behandlungsmöglichkeiten an. Zum Beispiel, als mir eine Physiotherapeutin während der Behandlung meines verklebten Skalps ihre Ärztin in Mitte empfahl, die „Neuraltherapie“ anbietet. Darüber hatte ich schon mal im Netz gelesen, und sie erschien mir zunächst auch durchaus irgendwie plausibel, zumal es um die Aktivierung neuronaler Verknüpfungen zu gehen schien. Als ich dann auch noch erfuhr, dass die Allgemeinärztin ihre Sprechstunden über die gesetzliche Krankenkasse abrechnen würde und lediglich die mittels Spritzen zugeführten Medikamente selbst zu zahlen seien, habe ich die Dame ein paar Mal konsultiert. To cut the long story short: Es hat überhaupt nichts gebracht. „Neuraltherapie“ spritzt ein lokales Anästhetikum in Bereiche, wo die Ärztin so genannte „Störfelder“ zu identifizieren glaubt (in diesem Fall durch kinesiologisches „Testen“) – Eine Wirkung ist wissenschaftlich nicht nachgewiesen. Zudem wollte mir Madame eine Reihe von vermeintlichen Lebensmittelunverträglichkeiten andichten (ebenfalls kinesiologisch „ertestet“), um weitere Behandlungen zu erwirken. Als eine Vertretungsärztin bei einem weiteren Termin mit genau derselben Methode herausfand, dass dies alles nicht stimmt, habe ich angefangen, meinem Körper und meinen eigenen Erfahrungen zu trauen (Kuhmilch- wie Sojaprodukte vertrage ich hervorragend, überhaupt ernähre ich mich ausgewogen und gesund) und die „Behandlung“ dort abgebrochen.
Charité rulez!
„Heiler“ etc. hin und her, diebesten Erfahrungen habe ich in den vergangenen sieben Jahren mit der Schulmedizin, insbesondere den Künstler*innen der Charité im Campus BenjaminFranklin (CBF) in Steglitz in Verbindung mit meinen Selbstheilungskräften gemacht.Aus diesem Grund ist es mir ein besonderes Anliegen gewesen, mich an einemProjekt von Professor Jüttemann vom Institut für die Geschichte der Medizin derCharité aus Anlass des 50jährigenJubiläums des CBF zu beteiligen. Mit seinen Studierenden dokumentiert er Erfahrungen ehemaliger und aktueller Mitarbeiter und eben Patienten. Dazu habe ich mich Anfang Juni mit zwei Studentinnen für ein Interview und Fototermin im CBF getroffen. Der Clou: Da, wo ich vor sieben Jahren mit Notarztwagen hingefahren worden bin, konnte ich diesmal allein mit dem Fahrrad hinfahren.Deshalb zeigen die Fotos mich mit Rad und Helm (sic!) vor der Notaufnahme. Kürzlich, im Oktober, wurde die Ausstellung im Südfoyer des CBF eröffnet, und auch dazu bin ich wieder mit dem Fahrrad hingefahren.